Studie der TU Dortmund belegt: Der Aufenthalt in Lichtlosigkeit steigert die Kreativität von Menschen

Es war ein außergewöhnliches Forschungsprojekt: Prof. Hartmut Holzmüller und Dr. Vanessa Haselhoff von der TU Dortmund beschäftigen sich im Frühjahr 2012 mit der Frage, ob der Aufenthalt in absoluter Dunkelheit die Menschen kreativer macht. Was passiert, wenn der so dominante Sehsinn nicht arbeiten kann?

Prof. Hartmut H. Holzmüller
Projektleiter
RIF-Vorsitzender und Inhaber des Marketing-Lehrstuhls an der benachbarten TU Dortmund

Dr. Vanessa Haselhoff
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Tel.: +49-(0)231-9700-260
E-Mail: vanessa.haselhoff(at)tu-dortmund.de

Die Ergebnisse sind signifikant: zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lichtlosigkeit durchaus positiv auf Kreativität zu wirken scheint. Es lässt sich klar nachweisen, dass

  • vor allem die Anzahl der Ideen in lichtlosen Workshops immer höher ist (oft auch signifikant),
  • auch die Vielfalt der Ideen in lichtlosen Workshops fast immer besser bewertet wird, (teilweise auch signifikant besser),
  • die Originalität und Elaboration der Ideen in lichtlosen Workshops oft marginal besser eingeschätzt wird (teilweise auch signifikant besser).
  • Probanden aus lichtlosen Workshops danach deutlich zufriedener sind und das Gefühl haben, neuartige Erfahrungen gemacht zu haben.

Executive Summary Lichtlos-Projekt

Steigert Lichtlosigkeit die Kreativität von Menschen? Verschiedene Gründe könnten dafür sprechen, wie z.B. die ungewöhnliche, besonders anregende Situation, weniger Störungen oder Ablenkung, mehr Offenheit und Selbstvertrauen sowie weniger Hemmungen und bessere Entspannung in der Dunkelheit. Bisher wurde die Wirkung von Lichtlosigkeit auf die Kreativität von Menschen allerdings noch nicht wissenschaftlich belegt.

Ziel und Methodik

Ziel des Projekts war es daher, dieses mögliche Phänomen näher zu untersuchen. Im Mai/Juni 2012 wurden insgesamt 14 Workshops (sieben mit Studierenden und fünf mit Managern), die Hälfte im lichtlosen Raum, die Hälfte im Hellen durchgeführt. Jeweils 4 bis 6 Teilnehmer, rekrutiert über Presse und Netzwerke und zufällig den Workshops zugeteilt, nahmen an den 60-120-minütigen Sitzungen teil und bekamen dabei acht verschiedene Aufgaben gestellt. Diese Aufgaben (4 Tests á zwei Runden) umfassten Ausschnitte des „Torrance Test of Creative Thinking (TTCT)“ von Torrance (1966), des in Europa populärsten Kreativitätstests, und einzelner Tests von Wallach und Kogan (1965) sowie Guildford (1950), beispielsweise: „Nenne alle runden Dinge, die dir einfallen!“, „Nenne ungewöhnliche Anwendungen für Kaugummi!“ oder „Was würden passieren, wenn Menschen nach Belieben unsichtbar würden?“. Pro Aufgabe bekamen die Teilnehmer exakt 4 Minuten Zeit. Die Workshops wurden aufgezeichnet und die Antworten auf die Kreativfragen transkribiert. Vor und nach den Workshops wurden zudem Fragebögen ausgegeben, die Fragen zur wahrgenommenem Kreativität, Entspannung, Anregung, Selbstvertrauen, Offenheit etc. beinhalteten.

Die in jedem Workshop generierten Ideen wurden durch drei unabhängige fachkundige „Juroren“ evaluiert, wobei der Kontext (Lichtlos oder Hell) nicht offengelegt wurde. Die Bewertung erfolgte anhand der Qualität (die Produktion einer großen Vielfalt von Ideen), Ausarbeitung/Elaboration (die sorgfältige (Weiter-)Entwicklung von Ideen) und Originalität (die Produktion von Ideen, die nicht offensichtlich oder banal sind, also statistisch selten) auf Skalen von 1 (sehr gering) bis 10 (sehr hoch). Für das Kriterium Quantität (die Produktion einer großen Anzahl von Ideen) wurden die generierten Ideen ausgezählt. Die Analyse von Differenzen zwischen den Workshops/Gruppen erfolgte mittels statistischer Analysen, vor allem Varianzanalysen.

Stichprobe

Insgesamt nahmen 74 Probanden am Experiment teil (inkl. Probeläufe). 40 Teilnehmer konnten der Gruppe „Studierende“ und 34 der Gruppe „Manager“ zugeordnet werden. 31 Probanden nahmen an einem hellen Workshop, 43 Probanden an einem dunklen Workshop teil. 41 Teilnehmerinnen waren weiblich, 33 Teilnehmer männlich. Die Probanden waren zwischen 20 und 73 Jahren alt, im Durchschnitt 33 Jahre. Die Studierenden waren zumeist Wirtschaftswissenschaftler oder Wirtschaftsingenieure, Manager zumeist in Projektmanagerpositionen oder Geschäftsführer.

Ergebnisse

1. Quantität/Anzahl der Ideen

Die Anzahl generierter Ideen ist für alle acht Aufgaben in den dunklen Workshops signifikant höher (zum 5%-Niveau) als die entsprechenden Vergleichswerte in den hellen Workshop, durchschnittlich um fast 30%. Besonders deutlich sind die Unterschiede bezogen auf die Aufgaben 1, 2, 4 und 7.

Ähnlich wie bei der Gesamtstichprobe ist auch bei der Teilstichprobe der Manager die Anzahl generierter Ideen für fast alle Aufgaben in den dunklen Workshops signifikant höher als die entsprechenden Vergleichswerte in den hellen Workshops (Ausnahme: Aufgaben 5 und 6) . Auch bei der Teilstichprobe der Studierenden ist die Anzahl generierter Ideen für fast alle Aufgaben in den dunklen Workshops signifikant höher (Ausnahme: Aufgabe 1).

2. Qualität/Vielfalt der Ideen

Bezogen auf die Gesamtstichprobe ist die Qualität der Ideen bei Workshops im Dunkeln in vielen Fällen höher bewertet als bei hellen Workshops. Signifikante Unterschiede (zum 5%-Niveau) existieren bezogen auf die Aufgaben 3, 4, 6 und 7 – in allen Fällen ist die Qualität der Antworten in dunklen Workshops signifikant höher als in hellen Workshops.

Auch bezogen auf die Teilstichproben der Manager und der Studierenden ist erkennbar, dass in vielen Fällen die Qualität der Antworten der dunklen Workshops höher eingestuft wird als die der hellen Workshops. Aufgrund des geringeren Stichprobenumfangs reichen diese Unterschiede aber nicht zur Erlangung einer signifikanten Differenz aus.

3. Originalität

Bezüglich der Originalität der entwickelten Ideen sind keine signifikanten Unterschiede zwischen hellen und dunklen Workshops erkennbar. In der Tendenz scheinen aber die Ideen in dunklen Workshops marginal origineller eingestuft zu werden als in hellen Workshops, was sich auch in den beiden Teilstichproben bestätigt.

Bei den Managern konnten speziell bei der Aufgabe 4 sogar signifikante Differenzen dahingehend ermittelt werden, dass die Originalität der Ideen in dunklen Workshops höher eingestuft wurde als in hellen Workshops. Ähnlich hoch – wenngleich nicht zum 5%-Niveau signifikant – ist die Differenz auch bei Aufgabe 3. Auch bei der Teilstichprobe der Studierenden ist die Originalität der Ideen in dunklen Workshops zumeist höher eingestuft als in hellen Workshops, besonders deutlich werden die Unterschiede bei den Aufgaben 2 und 6.

4. Elaboration

Zuletzt wurde durch die Juroren die Elaboration bzw. der Umfang der Ausarbeitung von Ideen beurteilt. Auch hier sind die Bewertungen für dunkle Workshops zumeist höher als für Workshops, welche im Hellen durchgeführt wurden. Bei Aufgabe 4 existiert sogar ein signifikanter Unterschied, welcher die oben stehende Tendenz noch einmal deutlich bestätigt.

Bezogen auf die Teilstichprobe der Manager lassen sich zunächst keine signifikanten Unterschiede herausarbeiten, generell ist lediglich festzuhalten, dass die Elaboration in Summe höher eingestuft wird als für die studentischen Workshops. Bezogen auf die Teilstichprobe der Studierenden lassen sich zum Teil signifikante Differenzen erkennen – dies gilt speziell für die Aufgaben 2 und 4. Bei beiden Aufgaben – wie auch bei den meisten anderen Aufgaben – wird die Elaboration der Ideen im Dunklen höher eingestuft als im Hellen.

5. Befragungsergebnisse

In den Vorher- und Nachher-Befragungen der Probanden wurden verschiedene Aspekte erhoben. Fragen zur Stimmungslage und zur Einschätzung der eigenen Person wurden vor und nach den Workshops gestellt, zudem nachher noch um eine Bewertung des Workshops gebeten. Bei einem Vorher-Nachher-Vergleich der Stimmung der Teilnehmer fällt auf, dass sie sich zwischen den beiden Befragungszeitpunkten zum Teil deutlich verändert hat. Nach dem Workshop waren die Teilnehmer zumeist glücklicher und zufriedener, stimulierter und angeregter, wohingegen sie vor dem Workshop eher aufgeregt und hektisch waren. Beim zusätzlichen Vergleich der dunklen und hellen Gruppen ist erkennbar, dass Probanden aus lichtlosen Workshops nachher etwas glücklicher, froher, zufriedener und entspannter waren. Diese Unterschiede sind allerdings nicht signifikant. Bezogen auf die Einschätzung der eigenen Personen sind kaum Unterschiede bei einem Vorher-Nachher-Vergleich erkennbar, lediglich die Eigenschaften „kreativ“ und „ideenreich“ sind nach dem Workshop stärker ausgeprägt als vor dem Workshop.

Gleichermaßen zeigt sich, dass nach dem Workshop die Selbsteinschätzung bezogen auf das Lösen schwieriger Aufgaben sowie dem Verhalten in unbekannten Situationen positiver ausfällt.

Signifikante Unterschiede zwischen hellen und dunklen Workshops lassen sich nur für die Eigenschaft „abenteuerlustig“ identifizieren – speziell Teilnehmer an dunklen Workshops fühlten sich nach dem Workshop abenteuerlustiger. Erwartungsgemäß fällt eine abschließende Bewertung der Workshops unterschiedlich aus abhängig davon, ob es sich um einen hellen oder um einen dunklen Workshop handelte. Grundsätzlich werden die dunklen Workshops in der Tendenz positiver beurteilt – besonders deutliche Unterschiede sind bezogen auf Aspekte wie „Neue Erfahrungen“ und „Reiz des Neuen“ sowie „Workshop hat sich gelohnt“ erkennbar. Zuletzt sind kaum Unterschiede bezüglich des Gefühls nach dem Workshop in Abhängigkeit von einer hellen oder dunklen Durchführung erkennbar. Lediglich die Abenteuerlust scheint nach der Durchführung dunkler Workshops stärker ausgeprägt zu sein.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Lichtlosigkeit durchaus positiv auf Kreativität zu wirken scheint. Es lässt sich klar nachweisen, dass

  • vor allem die Anzahl der Ideen in lichtlosen Workshops immer höher ist (oft auch signifikant),
  • auch die Vielfalt der Ideen in lichtlosen Workshops fast immer besser bewertet wird, (teilweise auch signifikant besser),
  • die Originalität und Elaboration der Ideen in lichtlosen Workshops oft marginal besser eingeschätzt wird (teilweise auch signifikant besser).
  • Probanden aus lichtlosen Workshops danach deutlich zufriedener sind und das Gefühl haben, neuartige Erfahrungen gemacht zu haben.

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